Die heißeste Währung im Internet – Deine Aufmerksamkeit

von Katharina Nocun

Die heißeste Währung im Internet – Deine Aufmerksamkeit

von Katharina Nocun

Viele Menschen sind dankbar dafür, Dienste wie Facebook kostenlos nutzen zu können. Doch streng genommen sind wir eigentlich diejenigen, die dafür bezahlt werden sollten. Im ersten Quartal 2018 erwirtschaftete Facebook mit jedem Nutzer aus Nordamerika im Schnitt rund 23 US-Dollar Umsatz. Facebook verdient damit zumindest an einigen Nutzern mehr, als diese für ihr Netflix-Abo zahlen. Fast 5 Milliarden US-Dollar fuhr das Unternehmen im ersten Quartal 2018 ein – aller Skandale zum Trotz. Seinen ungebrochenen finanziellen Erfolg verdankt Facebook vor allem der geschickten Vermarktung der knappsten Ressource des Internets: dem Zugang zu unserer Aufmerksamkeit.

Personalisierte Werbung wirkt – ob wir wollen oder nicht

Viele der meistgenutzten Online-Dienste sind werbefinanziert. Werbekunden kaufen sich bei unserem Newsfeed und unserem Instagram-Stream ein oder zahlen für eine Top-Platzierung in den Google-Suchergebnissen. Längst nicht alle Nutzer sind sich dessen bewusst. Das gilt vor allem für Kinder und Jugendliche. Eine Umfrage der britischen Aufsichtsbehörde Ofcom aus dem Jahr 2017 zeigte, dass nur 43 Prozent der befragten 12-15-Jährigen wissen, dass es sich bei den ersten Treffern einer Google-Suche meist um bezahlte Anzeigen handelt. Nur die Hälfte gibt an zu wissen, wie personalisierte Werbung funktioniert und wie sich Google oder YouTube finanzieren. Solche Zahlen sind ein Grund zur Sorge. Denn nur wer begreift, wie ein Geschäftsmodell funktioniert, versteht seine Rolle darin. Und nur wer seine Rolle kennt, kann überhaupt anfangen, diese kritisch zu hinterfragen.

Wer erst einmal verinnerlicht hat, dass Aufmerksamkeit die knappe Ressource des Internets ist, sieht viele Zusammenhänge mit anderen Augen. So liegt es etwa in der Natur werbefinanzierter Netzwerke, dass sie ein großes Interesse daran haben, ihre Nutzer möglichst umfassend zu durchleuchten. Schließlich lässt sich unsere Aufmerksamkeit umso effektiver vermarkten, je stärker Werbung an unsere Interessen anknüpfen kann. Eine britisch-amerikanische Studie aus dem Jahr 2017 bestätigte eindrucksvoll, wie groß der Effekt psychologischen Targetings bei Facebook-Werbung sein kann. Im Rahmen eines Experiments wurden rund 3,5 Millionen weibliche Facebook-Nutzer anhand eines einzigen Likes in die Kategorien “introvertiert” oder “extrovertiert” sortiert. Je nach psychologischem Profil wurde anschließend eine an die Versuchsgruppe ausgespielte Facebook-Werbung entweder mit einer schüchtern in den Spiegel blickenden oder einer wild tanzenden Frau bebildert. Beide Anzeigen warben dabei für das gleiche Kosmetikprodukt. Das Ergebnis der Studie spricht für sich: Die personalisierten Anzeigen bekamen bis zu 40 Prozent mehr Klicks und führten zu fast doppelt so vielen Kaufabschlüssen. Und das wohlgemerkt nur anhand der Informationen aus einem einzigen „Like“.

Wie Unternehmen Milliarden damit verdienen, uns abzulenken

Auswirkungen auf das Produktdesign unserer Dienste

Wenn die Werbeeinnahmen umso heftiger sprudeln, je länger Nutzer auf der Plattform unterwegs sind, dann kann sich das sogar auf grundlegende Design-Entscheidungen auswirken. Wer allein auf die Werbeeinnahmen schaut, wird versuchen, Nutzer möglichst lange auf der Plattform zu halten. Man kann es noch drastischer formulieren: Es lohnt sich, seine Nutzer gezielt abzulenken oder sie gar abhängig zu machen. Betreiber werbefinanzierter sozialer Netzwerke haben einen finanziellen Anreiz, unseren Newsfeed zu manipulieren. Wenn uns Inhalte bevorzugt angezeigt werden, auf die wir mit hoher Wahrscheinlichkeit klicken, steigert dies die Einnahmen. Unsere Timeline und unser Newsfeed werden heute bei vielen Plattformen nach Kriterien vorgefiltert, die wir weder kennen noch beeinflussen können. Dabei gibt es guten Grund kritisch zu hinterfragen, welche Folgen solche Manipulationen schon heute auf die öffentliche Meinungsbildung haben.

Wir haben uns an die Nebenwirkungen werbefinanzierter Geschäftsmodelle so sehr gewöhnt, dass viele Nutzer sie bereits als geradezu alternativlos wahrnehmen. Doch irren wir uns da nicht gewaltig? Gäbe es nicht gerade wegen dieser Probleme gute Gründe, über Alternativmodelle nachzudenken? Um zu überlegen, wie ein „sozialeres“ soziales Netzwerk aussehen könnte, lohnt es sich, für einen Moment die Brille der Aufmerksamkeitsökonomie abzusetzen und ein Gedankenexperiment zu wagen: Wie würde eigentlich ein soziales Netzwerk aussehen, das nicht der Werbe-Logik folgt?

Katharina Nocun Social Media Aufmerksamkeits Ökonomie

Alternativen zur Werbe-Logik: Weniger Bevormundung

Ein soziales Netzwerk, das nicht durch Werbung finanziert wäre, dürfte sich in vielerlei Hinsicht vom Status quo unterscheiden. Das fängt schon beim Datenschutz an. Ohne personalisierte Werbung würde der größte Treiber für exzessives Tracking der Nutzer wegfallen. Es wäre dann vielleicht nicht mehr notwendig, sich als Nutzer mühsam durch kryptische Privatsphäre-Einstellungen klicken zu müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Datenschutzfreundliche Standardeinstellungen hätten bessere Chancen sich durchzusetzen. Denn für die Verbesserung des Dienstes würden an vielen Stellen bereits anonymisierte Datenerhebungen reichen.

Derzeit bevormundet der Newsfeed-Algorithmus von Facebook seine Nutzer, indem er bevorzugt Inhalte anzeigt, von denen die Plattform meint, dass sie uns interessieren. Doch wie sähe unser Newsfeed eigentlich aus, wenn wir selbst entscheiden könnten, was wir sehen wollen – und was nicht? Manch einer will vielleicht gar nicht, dass alte Kontakte herunter gerankt werden, nur weil man mit ihnen selten interagiert. Wenn ein Mensch im Urlaub verstärkt auf seichte Kost wie Sport und Promi-News klickt heißt das noch lange nicht, dass er auch nach der Auszeit schwere Kost meiden will. Nur weil ein politischer Konflikt weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommt, heißt das noch lange nicht, dass er mich nicht trotzdem interessiert. Gar nicht so wenige Nutzer wünschen sich übrigens gar keine neuen intelligenten Filter-Algorithmen sondern die ganz altmodische chronologische Anzeige aller abonnierten Posts zurück. Ohne werbefinanziertes Modell gäbe es keinen triftigen Grund, warum die Nutzer ihre Filter nicht individuell bestimmen können sollten.

So gerne wir das Smartphone auch nutzen – auf nervige Benachrichtigungen und Apps mit eingebautem Sucht-Faktor würde so mancher gerne verzichten. Was würde eigentlich gegen ein Design sozialer Netzwerke sprechen, das uns dazu animiert, eine Plattform effizienter zu nutzen, statt möglichst viel Zeit damit zu vertrödeln? Wer einen Hang zur Prokrastination hat, könnte sich einen Filter gegen Ablenkungen einstellen (z. B. keine lustigen Tiervideos und Serien-Tipps mehr). Wer sich abgewöhnen möchte, den Account ständig zu checken, kann eine Zeitschaltung einrichten, die den Zugriff erst nach Feierabend erlaubt. Was spricht eigentlich dagegen anzuzeigen, wie viel Zeit ich heute schon auf der Plattform verbracht habe? Und warum muss man nach Einrichtung eines neuen Accounts erst einmal dutzende nervige Benachrichtigungen abstellen? Technisch wären solche Umstellungen kein Problem. Seine Nutzer dazu zu animieren, ihre Aufmerksamkeit lieber anderen Dingen zuzuwenden, passt nur leider überhaupt nicht zum werbefinanzierten Geschäftsmodell von Facebook.

Facebook hat ein strukturelles Problem

Das Gedankenexperiment macht vor allem eines deutlich: Viele Probleme werbefinanzierter Plattformen liegen zumindest zum Teil auch im Geschäftsmodell begründet. Facebook wird niemals das bestmögliche soziale Netzwerk sein, das die Menschheit verdient hätte. Das Ziel der Gewinnmaximierung steht im Konflikt zu wesentlichen Interessen der Nutzer. Zwar ist richtig, dass jeder Nutzer die Wahl hat, welche Dienste er in sein Leben lassen will. Wir alle müssen uns Abwehrstrategien gegen das aggressive Werben um unsere Aufmerksamkeit aneignen. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn uns diejenigen Dienste, die einen großen Platz im Leben von hunderten Millionen Menschen einnehmen, mehr Selbstbestimmung in Bezug auf unsere Aufmerksamkeitspräferenzen erlauben würden. Und zwar auch, wenn das bedeutet, dass dadurch der Gewinn geschmälert wird.

Übrigens: Die Aufmerksamkeitsökonomie ist Schwerpunkt der neuesten Folge des Mozilla-Podcasts „IRL“. Wenn ihr mehr zum Thema erfahren wollt, solltet ihr unbedingt hier reinhören. Es lohnt sich!

JETZT HÖREN

[Der Podcast ist auf Englisch]