Dataismus in London – The Glass Room

Der freie Wille in der digitalen Welt

Dataismus in London – The Glass Room

Der freie Wille in der digitalen Welt

Eine Ausstellung, die keine ist. Ein Pop-Up-Store, der nichts verkauft. Weiße Wände und cleanes Ambiente und doch kein Apple Store. Die Welt steht hier irgendwie Kopf und erlaubt uns so eine ganz absurde und wichtige Perspektive auf das, was eine ihrer wichtigsten Ressourcen ist. Der Glass Room, der gerade in London die Pforten öffnete und noch bis zum 12. November gastiert, nimmt seine Besucher mit auf eine Reise durch den neuen Dataismus. Ja, auch das klingt nach Kunst – und in gewisser Weise ist es das auch.

Um was es genau geht? Um uns! Genauer gesagt, um das, was wir jeden Tag gleichmütig und unbedacht in die Welt entlassen: unsere Daten, das “Neue Öl”. Daten sind heute eine der wichtigsten Ressourcen überhaupt – auf globaler Dimension. Ihre bedeutendste Bezugsquelle sind wir, die Konsumenten, wir Menschen. Unsere persönlichen Daten werden wie Rohstoffe abgebaut, gefördert, gehandelt und verkauft – von privaten wie öffentlichen Institutionen und das mit unglaublicher Gier. Jeder von uns füttert diese Gier, ganz unbedarft. Alle tippen, lesen, sehen, besuchen wir Webseiten jeden Tag.

Wie oft denken wir dabei wirklich darüber nach, was eigentlich mit unseren Daten geschieht?

Was passiert mit ihnen, nachdem wir sie für “kostenlose” Services, Bequemlichkeiten und Produkte eingetauscht haben? Wer denkt darüber nach, wie viel Kontrolle wir eigentlich wirklich noch haben, wenn immer intelligenter werdende Algorithmen hinter den Kulissen die Fäden ziehen und uns an der unsichtbaren Hand durch das World Wide Web navigieren?

Es sind Gedanken wie diese, die einen wie Impulse durchströmen, wenn man den Glass Room in London Central Cross betritt. Es ist beinah wie eine real gewordene “Black Mirror”-Episode. Ein Tech-Store mit unvorhergesehener Wendung, sozusagen.

 

Die Verzahnung von Kunst und Aufklärung provoziert, die Beziehung von Technologie, Privatsphäre und Online-Sicherheit zu hinterfragen. Ja, man beginnt sogar über Fragen des freien Willens zu philosophieren, wenn man sich selbst mit diesem Dataismus konfrontiert, der uns unsichtbar und doch allumfassend umhüllt (und bestimmt?). Was gewinnen wir, was verlieren wir? Das sind die wichtigen Denk-Balancen, die es auszuloten gilt.

 

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als biete der Londoner Glass Room die neuesten fancy Technologie-Hypes und -Produkte an. Das neueste Tablet zum Beispiel, smarte Fitness Tracker oder faszinierende Gesichtserkennungssoftware. Doch wenn man genauer hinschaut, wird klar: Zu kaufen gibt es nichts.

 

Die vermeintlichen Produkte entpuppen sich als Kunstwerke. Oder nein, eigentlich sind sie viel mehr: Eine Art Backstage-Pass zu den gar nicht so geheimen Geheimnissen des Dataismus. Sie offenbaren die versteckte Welt, in der unsere Daten sich bewegen.

Alle Objekte demaskieren gemeinsam die verschiedenen Narrative unserer datenzentrierten Welt. Den Glass Room zu erleben öffnet die Augen, es ist ein Erwachen  – und das nicht wegen des bereits erwähnten weißen, beinah gleißenden Ambiente. Was es zu entdecken gibt?

Something to Hide

Was passiert, wenn wir unsere Daten gegen kostenlose Services eintauschen? Hier machen Besucher beispielsweise Bekanntschaft mit einem alternativen Fitness Tracker, der sich auch dann bewegt, wenn Du es nicht tust und mit dem Shopping-Algorithmus, der Vorhersagen über Dich trifft.

Normal is Boring

Was sind die disruptiven globalen Auswirkungen des Silicon Valley und seiner Startup-Imperien? Mit ihrer enormen Ansammlung von Wissen, Reichtum und Macht sind Technologiefirmen zu den größten Konzernen der Welt geworden. Die Exponate lassen die Frage nach der Verantwortlichkeit von Technologie-Mogulen aufkommen und zeigen philanthropische Ansätze, wie einen Fruchtbarkeits-Chip für Frauen in Entwicklungsländern.

 

Big Mama

Wie können Unternehmen und Staaten unsere Daten so sammeln, dass sie zugunsten unserer Interessen eingesetzt werden – und nicht gegen uns? Ein Ausstellungsstück zeigt eine Software, die Verbrechen frühzeitig zu erkennen vermag.

 

Open the Box

Wie sehen Daten eigentlich aus, wenn man sie von der anderen Seite des Bildschirms her betrachtet? Und welche einzigartigen Geschichten erzählen sie auf dieser anderen Seite? Besucher sehen hier, wie ihre alltäglichen Routinen Mobiltelefon-Anbietern nützlich sind oder was ihre E-Mails alles über sie offenbaren.

 

The Data Detox Bar

All diese existentialistischen Fragen – und jetzt? Der Glass Room zeigt Alternativen auf, zeichnet Datenwege nach, um ein klares Bewusstsein für unseren Umgang mit Apps und dem Internet zu schaffen. Ein ziemlich guter Start ist das 8-Tage Data Detox Kit, das uns dabei hilft, wieder mehr Kontrolle über unsere Daten zu gewinnen.

 

Workshops and Tours

Eine Reihe von Workshops hilft den Besuchern zudem, den Umgang mit ihren Daten besser zu verstehen. Ein Feingefühl zu entwickeln, sozusagen. Selbstverständlich gibt es auch Führungen und offene Ohren für alle Fragen.

Besucht den Glass Room in London!

Der von The Tactical Technology Collective kuratierte und von Mozilla präsentierte “The Glass Room London” ist vom 25. Oktober bis zum 12. November 2017 sieben Tage die Woche geöffnet. Wer nicht in London ist, kann auf Twitter und Facebook dabei sein – und dabei unter anderem an Liveübertragungen und Vorstellungen einiger der großartigen Künstler teilhaben, die The Glass Room zu einem einmaligen Erlebnis machen.