“Facebook fühlt sich einfach wahnsinnig privat an”

Von Anfang an sollte Firefox Menschen dabei helfen, sich selbstbestimmt im Internet zu bewegen. Mozilla war der Ansicht, dass die Qualität des Erlebnisses online am besten wäre, wenn Nutzer frei wählen können, wer sie online sein möchten, um dann Dinge zu entdecken, die sie im wahren Leben möglicherweises nicht wagen würden. Firefox hat deshalb einen eingebauten Datenschutz.

Das Internet hat jedoch das Konzept der Privatsphäre dramatisch verändert. Da die Privatsphäre als Kernelement offener Gesellschaften gilt, löst diese Veränderung Bedenken aus und regt wissenschaftliche Forschung an. Von Zeit zu Zeit möchten wir unsere Community über neue Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet informieren.

Ich habe mit Prof. Dr. Nicole Krämer gesprochen, Professorin für „Sozialpsychologie – Medien und Kommunikation“ an der Universität Duisburg-Essen. Krämer erforscht das menschliche Verhalten in virtuellen Räumen. Ich wollte wissen, warum die Menschen sich nicht so sehr um ihre Privatsphäre-Einstellungen kümmern, wie sie es sollten.

Frau Krämer, Sie erforschen das Medienverhalten der Deutschen in virtuellen Räumen. Sind die Bedenken, persönliche Informationen online mit anderen zu teilen, in Deutschland größer als in anderen Ländern?

Es gibt bislang so gut wie keine vergleichende Forschung auf diesem Feld. Wir haben in einer Studie, die noch unveröffentlicht ist, die Einstellung und das tatsächliche Verhalten von Deutschen und Amerikanern untersucht und sind zu einigen überraschenden Ergebnissen gekommen.

Wir hatten nämlich erwartet, dass die Deutschen empfindlicher sind als die Amerikaner, weil wir aus früherer Forschung wussten, dass Amerikaner sehr viel mehr von sich preisgeben und in sozialen Netzwerken durchschnittlich auch mehr Freunde oder Follower haben. Was aber auffällig war: Die Amerikaner schützen sich online viel besser als die Deutschen. Von zehn präventiven Maßnahmen, die wir abgefragt haben, nutzen US-Bürger durchschnittlich ein bis zwei Maßnahmen mehr als die Deutschen. Das ist überraschend deutlich.



Wie erklären Sie das?

Wir haben drei mögliche Erklärungen dafür: Erstens könnte es sein, dass die Deutschen einfach zu wenig wissen. Man muss kein Programmierer sein, um seine Browserchronik regelmäßig zu löschen, aber wenn sie nicht wissen, dass es diese Funktion überhaupt gibt, werden sie es auch nicht tun.

Zweitens könnte es sein, dass die Deutschen resigniert haben. Sie wissen zwar, dass Tech-Unternehmen persönliche Informationen speichern und weitergeben, aber sie glauben nicht, dass individuelle Schutzmaßnahmen das verhindern. Die Medienberichterstattung führt dann zusätzlich dazu, dass Menschen das Phänomen für so groß halten, dass sie sich selbst nicht mehr im Stande sehen, ihre Privatsphäre effektiv zu schützen.

Die dritte Erklärung – und die finde ich persönlich am Spannendsten – könnte sein, dass die Deutschen denken, der Rechtsstaat würde sie im Zweifel vor einem gefährlichen Missbrauch schützen.



Sie meinen, die Deutschen vertrauen dem Staat mehr als privaten Unternehmen? Das wäre ja ein epochaler Wandel. In den achtziger Jahren sind die Menschen auf die Straße gegangen, als der Staat eine Volkszählung durchführen wollte.

Wir stellen in Deutschland tatsächlich regelmäßig fest, dass das Vertrauen in staatliche oder offizielle Institutionen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk größer ist als in private Quellen.

Die Deutschen vertrauen ihrem eigenen Staat auch mehr als privaten US-Unternehmen.



Sie meinen, heute gäbe es bei einer Volkszählung keine Protest mehr?

(lacht) Na soweit würde ich nicht gehen. Die Protestkultur der achtziger Jahre gibt es heute in der Form natürlich nicht mehr. Aber dass es keine Widerstände mehr gibt, ist trotzdem unwahrscheinlich. Wenn der Staat ankündigt, persönliche Daten zu erheben, muss er nämlich einen bestimmten Zweck und einen bestimmten Zeitpunkt angeben. Es ist also viel einfacher, Protest zu organisieren, weil man weiß, wann die Mobilisierung einsetzen muss und welche Argumente bei welcher Gruppe überzeugen.

Außerdem erscheinen Daten, die jeder auf seiner Facebookseite veröffentlicht, plötzlich als wahnsinnig sensibel, wenn man vor Augen geführt bekommt, wo die Daten hingehen und was damit passiert.



Und wie hat Facebook es geschafft, dass Nutzer es für weniger gefährlich halten, persönliche Informationen auf der Facebookseite zu veröffentlichen?

Facebook ist es gelungen, dass sich alles, was auf dem Portal geschieht, sehr privat anfühlt. Es steht in den AGBs, dass Facebook die Daten an dritte Parteien weitergibt. Aber die Erfahrung mit Facebook wird doch von den 15 besten Freunden und unseren bevorzugten Quellen bestimmt, die wir sehen, wenn wir unseren Account öffnen.

Wenn wir auf unsere Facebookseite gehen, sehen wir die letzten Posts von Freunden und guten Bekannten und von Informationsquellen, die wir selbst ausgesucht haben. Man sieht das eigene Umfeld. Die Seite fühlt sich einfach nicht an wie das Interface von einem großen amerikanischen Unternehmen.

Alles, was man wahrnimmt, gibt uns ein unheimlich positives Gefühl: Hach, der hat geheiratet, hier sind die letzten Urlaubsfotos von meinen Freunden und so weiter. Und psychologisch spielt es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Rolle, dass wir diese Information meistens zu Hause oder jedenfalls in einem vertrautem Umfeld auf unseren eigenen Geräten wahrnehmen. Das verstärkt zusätzlich ein Gefühl von Sicherheit.



Das Risiko ist also überlagert von anderen Wahrnehmungen?

Es verhält sich jedenfalls asynchron zu den Risiken, die wir bei einer Befragung durch den Staat wahrnehmen. In Sozialen Netzwerken sehen wir sofort, welchen Nutzen wir haben, wenn wir unsere Informationen teilen. Den Schaden sehen wir entweder gar nicht oder er bleibt sehr abstrakt.

Bei einer Volksbefragung bleibt demgegenüber der Nutzen abstrakt und er liegt in einer nicht definierten Zukunft. Wir sehen aber unmittelbar, dass wir etwas preisgeben sollen – nämlich Informationen, die wir als sehr persönlich empfinden. Volkszählungen sind außerdem punktuell durch kritische Medienberichterstattung begleitet worden, sodass Zeitungslesern der mögliche Schaden sehr bildlich vor Augen geführt worden ist.

Und im Gegensatz zu Sozialen Netzwerken gilt, dass wir zumindest in der Vergangenheit unser privates Umfeld verlassen mussten oder, noch schlimmer, eine fremde Person an unsere Tür kam und etwas Persönliches von uns wissen wollte. Das ist mit Sicherheit etwas ganz anderes, auch wenn es dazu noch keine empirische Forschung gibt.



Kann man etwas tun, um diese Asymmetrie auszugleichen?

Das ist ein ganz zentraler Punkt, der uns im Forum Privatheit im Moment sehr beschäftigt. Wir untersuchen, wie man Risiken greifbarer machen könnte, etwa durch zusätzliche Warnhinweise im Browser, die klarer als jetzt auf einen möglichen Missbrauch hinweisen.

Wir erforschen auch, ob es sinnvoll ist, zwischen horizontaler und vertikaler Privatheit zu unterscheiden, also ob wir Risiken klarer in Kategorien wie sozial und institutionell einordnen müssen. Manche Daten eignen sich besonders für Cyber-Bullying, stellen also in der horizontalen Privatheit unter Freunden ein potenzielles Risiko dar.

Ein vertikaler Datentransfer hin zu Institutionen birgt andere Risiken und erfordert möglicherweise auch andere Warnhinweise. Wir müssen also erforschen, welche Reize wir geben müssen, damit Nutzer innehalten, bevor sie AGBs akzeptieren.



Haben Sie das Gefühl, dass die Kluft zwischen den Bedenken und dem tatsächlichen Verhalten der Deutschen in Zukunft kleiner wird?

Nach unseren Erkenntnissen ist die Kluft ohnehin viel kleiner als vermutet. Das liegt unter anderem daran, dass der Begriff Privatsphäre für ein konkretes Forschungsmodell eigentlich ungeeignet ist. Wenn Sie Menschen fragen, ob es ihnen wichtig ist, ihre Privatsphäre zu schützen, sagen natürlich alle ja. Wer heute im Internet surft, gibt aber immer persönliche Informationen preis und die wenigsten können oder wollen heute ganz auf das Internet verzichten.

Wir müssen die Nutzer also fragen, welche Daten sie für besonders sensibel halten und dann müssen wir überlegen, wie diese Teilbereiche am besten geschützt werden können.



Wissen die Menschen, was ihnen wichtig ist?

Teilweise ja, teilweise treffen Nutzer online aber auch sehr viele Entscheidungen, die nicht leicht zu erklären sind.

Wir haben zum Beispiel mal versucht, den Wert einer Facebook-Beziehung zu ermitteln. Ein Ergebnis war: Wenn jeder Facebook-Freund einen Euro kosten würde, würden die meisten Nutzer mehr als zwei Drittel ihrer Freunde löschen.

Dann kam aber ein interessanter Moment: Wir haben die Nutzer gebeten, auf Freunde zu zeigen, die sie löschen würden und sie dann aufgefordert, diese Freunde doch jetzt einfach zu löschen. Da haben aber fast alle gezögert. Irgendeinen Wert haben diese Freunde dann also doch.

Sind Menschen leichter zu manipulieren, wenn sie nicht wissen, warum sie eine Entscheidung treffen? Kann man Menschen beispielsweise dazu bewegen, einen Kandidaten zum US Präsident zu machen?

Die Forschungen, die wir kennen, lassen den Schluss eigentlich nicht zu. Der Zusammenhang zwischen einem bestimmten Verhalten und der Anzahl von Likes auf Facebook ist nach meiner Überzeugung nicht besonders stark. An der Stanford University gab eine Studie von Michal Kosinski, die das behauptete. Aber sie hat mich, ehrlich gesagt, nicht überzeugt.

Die Berichterstattung über den den Datenmissbrauch von Cambridge Analytica hat dies manchmal fälschlicherweise so dargestellt. Wir sehen es aber dennoch als eine unserer Aufgaben an, Menschen auch online die Möglichkeit zu geben, Entscheidungen bewusster zu treffen.



Frau Krämer, dabei wünschen wir Ihnen viel Erfolg.


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