Ein beinah magisches Raunen beherscht den (nicht nur) digitalen Raum dieser Tage: Ein Raunen, zusammengesetzt aus kryptischen Akronymen, die so richtig schön meta den vermeintlichen Bürokratiewahnsinn des Themas widerspiegeln. Es geht um die omnipräsente EU-Datenschutzgrundverordnung – oder kurz: EU-DSGVO (engl. GDPR). Verheißungsvoll, voller Hoffnung auf der einen Seite und mit angstvollem Blick auf der anderen, setzt Europa ein Zeichen für den Datenschutz.
Was bedeutet das Ganze aber für Dich als Nutzer und warum ist es so wichtig, dass Du Dich mit dem ganzen (Wahn-)Sinn Deiner personenbezogenen Daten beschäftigst – ganz unabhängig von DSGVO und NetzDG (dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Hetze und Manipulation im Web unterbinden soll)?
Zusammen mit Katharina Nocun, Netzaktivistin, Bürgerrechtlerin und Verfechterin des Grundrechts auf Privatsphäre, mit der wir über ihr erst kürzlich erschienenes, ganz großartiges Buch “Die Daten, die ich rief” gesprochen haben, gehen wir diesen Fragen für Dich auf den Grund.
P.S.: Lies bis zum Ende, atme tief durch und handle. Denn eines können wir Dir schon jetzt sagen: Das Handeln eines jeden Einzelnen ist gefragt; in der Summe schaffen wir uns die Welt, in der wir leben möchten. Es braucht gar nicht viel.
Was ist eigentlich Datenschutz – oder: Spürst Du den Verlust von Privatsphäre?
“Datenschutz stellt die Machtfrage des 21. Jahrhunderts. Wer Kontrolle darüber hat, was mit unseren Daten passiert, wer Einsicht darin hat, wie unser Nutzerverhalten aussieht, der hat auch Macht über uns”, sagt Katharina gleich zu Beginn unseres Gespräches – und ich habe Gänsehaut. Denn in ihrer Stimme, ihrem Ausdruck, schwingt so viel mit: Überzeugung, Dringlichkeit, Mut und Gewissheit. Aber warum? Wir alle wissen, dass unsere Daten überall und ständig gesammelt werden. Heute mehr denn je: Jeden Tag bekommen wir E-Mails zu neuen Datenschutzrichtlinien von Diensten, von denen man nicht mal mehr wusste, dass man sie nutzt. An jeder Ecke die Aufforderung, die eigenen Privatsphäre-Einstellungen zu überprüfen, die kein Mensch versteht. Umso wichtiger ist es, endlich aus der bequemen Passivität des Nichtwissens (und des irgendwie nicht-wissen-Müssens) auszubrechen. Das war unter anderem auch die Motivation für Katharinas Buch Die Daten, die ich rief.

“Jeder weiß, dass er überwacht wird. Wir alle hinterlassen eine Datenspur. Aber Daten sind unsichtbar. Man spürt den Verlust von Privatsphäre nicht. Deshalb habe ich mich entschieden, mein Nutzerverhalten umzustellen und diese Datenspur sichtbar zu machen. Ich habe gezielt eine Datenspur gelegt, um sie hinterher abfragen zu können.”
Was dabei herausgekommen ist, lässt es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Was kann unser Hausarzt über uns sagen, wenn er die Daten unseres hippen Fitness-Trackers und der verbundenen App sehen kann? Bin ich wirklich die depressive, traurige Katzenperson, deren Geschichte die per Bonuskarte erfassten Einkäufe erzählen? Wer kann diese Geschichte eigentlich noch lesen und was – um Himmels willen – wird dieser Leser da hinein interpretieren?
Wer unsere Sehnsüchte kennt, kann uns manipulieren
Szenarien wie diese klingen aber dann doch so, als würden sie einen selbst nicht betreffen. Selbst wenn unsere Daten von Dritten hin und her interpretiert werden, glauben viele ganz einfach “nichts zu verbergen” zu haben. Dass diese Haltung aber nicht nur naiv, sondern auch langfristig eine Gefährdung für unsere freie Gesellschaft darstellen könnte, wird klar, wenn man sich in die Tiefen der Implikationen des Datenschutzes und der informationellen Selbstbestimmung begibt. Denn Leichtsinn ist ein Festmahl für Datenfresser.
“Die Risiken liegen in der Zukunft, die kann ich heute noch gar nicht wirklich beurteilen. Deswegen ist ganz wichtig, sich mal vor Augen zu führen, was das unbedarfte Verteilen von unseren Daten – durch lapidares Akzeptieren hier oder einer Bonuskarte da – konkret für einen persönlich bedeutet. Denn wer unsere Sehnsüchte, unsere Vorlieben kennt, der kann uns an der Leine dieses Wissens spazieren führen und uns manipulieren. Gerade deshalb sollten wir uns Gedanken darüber machen.”
Mit der Einführung der Europäischen Datenschutzgrundverordnung – oder auch EU-DSGVO – werden Nutzer jetzt um drei Ecken irgendwie auch mit liebevoller Hand in Richtung des Nachdenkens geschubst. Denn die neuen, einheitlichen Regelungen zur Verarbeitung und Speicherung personenbezogener Daten, die erstmals in der ganzen Europäischen Union gelten, bringen neue Transparenz- und Informationspflichten – ergo mehr Arbeitsaufwand – für ALLE Unternehmen und alle Dienste, die sich an EU-Bürger richten. Juristisch betrachtet sind nämlich Unternehmenssitz oder Server-Standort egal. Es zählt, welchen Markt man anspricht. Deshalb fragen viele Unternehmen gerade hastig ihre Nutzer, ob sie darin einwilligen, dass ihnen weiterhin Werbung an ihr Mailpostfach zugeschickt werden darf. Ein Schubs, ja.
“Informationelle Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass ich gar keine Daten mit niemandem teile, sondern das ich in erster Linie selbst darüber entscheide, wer welche Informationen warum über mich haben darf und wer nicht.”