Wie viel Europa steckt in einem freien Internet?

Interview mit Mozillas Innovationschefin Katharina Borchert

Wie viel Europa steckt in einem freien Internet?

Interview mit Mozillas Innovationschefin Katharina Borchert

Freiheit, Offenheit und Vielfalt für alle: So sieht ein Internet aus, für das Mozilla kämpft. Damit diese große Mission gelingen kann, rücken zunehmend auch lokale Schwerpunkte in den Fokus. Auch, wenn es Gemeinsamkeiten gibt – Europa tickt deutlich anders als das Silicon Valley. Als Chief Innovation Officer bei Mozilla unterstützt die gebürtige Deutsche Katharina Borchert die Entscheidung, Mozillas europäische Perspektive und Präsenz mit der Eröffnung des neuen, vergrößerten Berliner Büros zu stärken.

Wie wichtig ist der lokale Blick für ein gesundes Internet?

Katharina Borchert: Wir sind, nach meinem Gefühl, in Deutschland immer viel zu leise getreten. Deshalb freue ich mich, dass wir jetzt den Standort ausgebaut haben und ganz gezielt Kompetenzen ansiedeln. Es ist ein wirklich repräsentativer Standort, der sowohl Berlin als auch Mozilla widerspiegelt. Ich bin echt begeistert, was sich hier in den letzten zwei Jahren entwickelt hat. Deutschland ist einer unserer wichtigsten Märkte – und das nicht nur auf europäischer Ebene, sondern weltweit. Kollaborative Software zu entwickeln und den Menschen den Freiraum zu geben, sich selber einzubringen und Teile des Internets aktiv mitzugestalten, ist in Deutschland immer ganz besonders gut angenommen worden.

“In Berlin gibt es viele kleine Organisationen, die gebündelt Initiativen voranbringen und kollaborativ enorm viel bewegen können”

Neben den Büros in London, Paris und Brüssel, die alle wichtigen Aufgaben nachgehen, ist das Berliner Büro das größte in Europa. Wird in Berlin die Zukunft des europäischen Internets entschieden?

Das kann man aus zwei Perspektiven betrachten: Zum einen hat Deutschland innerhalb Europas besondere Aufmerksamkeit erlangt und eine besondere Führungsrolle übernommen. Zum anderen hat sich Berlin als Standort in der letzten Dekade besonders für die Internet- und Technologiebranche herauskristallisiert. Inzwischen hat sich hier ein Tech-StartUp Ökosystem gebildet. Die extrem kreative Atmosphäre mit viel Kunst und Popkultur ist zudem wahnsinnig inspirierend.

Welche Rolle spielt dabei, dass der lokale netzpolitische Aktivismus sehr konstruktiv und wertegetrieben ist?

Hier gibt es viele kleine Organisation die gebündelt Initiativen voranbringen und kollaborativ enorm viel bewegen können. Berlin ist da ganz einfach ein fruchtbarer Boden für das, was Mozilla anbieten kann. Wir reden nicht nur über Datenschutz, Sicherheit und Privatsphäre, sondern verarbeiten die Prinzipien und Werte von Mozilla auch in unserer Software. We don’t only talk the talk, we walk the walk (“Wir reden nicht nur, wir packen es an”). Das hat Mozilla für mich persönlich immer besonders anziehend gemacht – und auch gut auf dem deutschen Markt positioniert.

“Der schlechte Ausbau des Breitband-Internets ist viel dramatischer als die vermeintliche Technikangst der Deutschen”
Katharina Borchert Mozilla Chief Innovation Officer

Deutschland landete kürzlich bei der mobilen Internetgeschwindigkeit auf Platz 44 und ist nach einer aktuellen Bertelsmann-Studie “digitales Entwicklungsland”. Ist es wirklich so schlimm?

Die Bertelsmann Studie bezieht sich maßgeblich auf den Breitband-Ausbau. Und in diesem Bereich steht es um Deutschland wirklich dramatisch. Es gibt Länder, da haben 73% der Bevölkerung Breitband-Internet. In Deutschland sind es 6,6%. Da verlieren wir den Anschluss an die Zukunft. Das ist ein echtes Warnsignal, das ich als viel größeres Problem sehe, als die vermeintliche Technikangst der Deutschen oder die zögernde Art mit der wir bereit sind, uns auf neue Technologien einzulassen. Was Automatisierungsprozesse in der Industrie angeht, oder im Hinblick auf das Internet der Dinge, da ist Deutschland gut aufgestellt.

 

Wie viel Europa steckt denn in einem Internet, das für alle frei und offen ist?

Das hängt nicht unwesentlich davon ab, wie Europa dafür jetzt die Weichen stellt. Das betrifft alle möglichen Themen von Datenschutz bis Breitbandausbau. Europa hat bestimmte Eigenarten und lebt Werte, die das Internet braucht und auf die Europa stolz sein kann.

 

Kann das Silicon Valley von Europa noch etwas lernen?

Die Frage des Datenschutzes ist sicherlich eine, bei der Europa seit zehn Jahren schon extrem wichtige Akzente setzt. In den USA ist Regulation durch den Gesetzgeber immer das letzte Mittel. Man vertraut lieber auf die regulatorischen Kräfte des freien Marktes. In Europa ist das ganz anders: Der Gesetzgeber wird oft als wichtiges Regulativ angesehen, um einen gesellschaftlichen Wertekonsens abzubilden und die Interessen aller Bürger zu berücksichtigen.

 

Wie können diese unterschiedlichen Welten ideal zusammenkommen?

Für mich, die mit jeweils einem Bein auf beiden Seiten des Atlantiks steht, sehe ich da ein interessantes Spannungsfeld. Der regulatorische Impuls Europas wirkt sich auch auf die Produkt- und Marktgestaltung des Silicon Valley aus. Ich glaube, das ist eine Stärke Europas, und viele Amerikaner würden mir jetzt vielleicht widersprechen: Europa hat einen anderen Blick auf Sicherheit und Datenschutz. Auch wenn es um Diskussionen wie Arbeitnehmerrechte in der digitalen Ökonomie geht und darum, wie wir die Zukunft eines digitalen Arbeitsmarktes mit zunehmender Automation gestalten.

 

“Wir kämpfen gegen Monopolisierung im Netz. Da ist Mozillas Auffassung sehr europäisch”
Katharina Borchert Mozilla Chief Innovation Officer Mozilla Berlin Office

Was macht Mozilla da schon alles richtig?

Mozilla ist ein toller Arbeitgeber, macht überall, egal ob hier oder in den Staaten, vieles, was in Europa als selbstverständlich gilt. Elternzeitmodelle sind aus amerikanischer Perspektive noch eher ungewöhnlich beispielsweise. Mozilla bietet das aber an. Insofern reflektiert Mozilla auch europäische Werte. Das gilt auch für die Einstellung zur Konzentration von Marktmacht im Netz. In den USA wird das nicht als Bedrohung wahrgenommen, während hier jeder ein Auge auf Monopolisierungstendenzen hat. Da ist Mozillas Auffassung sehr europäisch, denn dagegen versuchen wir anzukämpfen.

 

Mozilla hat in diesem Zusammenhang den Begriff der “Internetgesundheit” (Internet Health) geschaffen. Worum geht es dabei?

Wir haben uns für dieses Konzept der Internetgesundheit die Entwicklung des Umweltschutzes und der Umweltschutzbewegung angeguckt. Aus unserer Perspektive ist das Internet eine der größten, mächtigsten und wertvollsten öffentlichen Ressourcen unserer Zeit. Eine Ressource, die gefährdet ist.

 

Was bedeutet das konkret?

Die Netzwerkeffekte der gesamten Marktmacht im Internet liegen in den Händen weniger, sehr einflussreicher, supranationaler Konzerne. Das führt dazu, dass diese zunehmend darüber entscheiden, wie wir diese Ressource, die eigentlich eine öffentlich-gemeinschaftliche sein soll, nutzen können – und darüber, was mit unseren Daten passiert. Mozilla beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit sehr unterschiedlichen Themen. Das geht von Privatsphäre über Datensicherheit bis hin zu Urheberrecht und dezentralisierter Netzwerkstruktur.

 

Wie bewertet Mozilla die Gesundheit des Internets?

Das Internet ist ein Ökosystem, ein Zusammenspiel von Faktoren. Wir legen gerade Kernindikatoren fest, mit denen wir messbar machen wollen, wie sich das Internet entwickelt. Ganz ähnlich wie es das Waldsterben oder Wasserreinheit für den Umweltschutz sind. Wir machen das in einem sehr offenen Prozess, bei dem viele Leute dabei helfen diese Indikatoren zu definieren und die sich auch weiterhin einbringen können, zum Beispiel in Kampagnen, die Mozilla initiiert. Die Ergebnisse veröffentlichen wir regelmäßig im Internet Health Report. Die Zivilgesellschaft hat so die Gelegenheit, dagegen zu steuern und zu sagen ‚Hey! Damit sind wir nicht einverstanden, diese Ressource muss offen sein und wir müssen die Hoheit über unsere Daten haben!

 

“Digitale Bildungsprogramme, alters- und länderübergreifend, sind ein ein wichtiger Faktor zur Verbesserung der Internetgesundheit”

Was können wir jetzt sofort für die bedrohte Ressource Internet tun?

Erst einmal: Bewusstsein schaffen. Das ist auch eine Kernaufgabe von Mozilla. Das Internet ist ein System das förmlich danach schreit, es zu konsumieren. Aber ohne, dass wir uns aktiv gegen bestimmte Dingen wehren, können wir es nicht mehr frei nutzen. Dann wird die Art, wie wir das Internet nutzen, irgendwann gänzlich fremdbestimmt. Deswegen braucht es viel mehr Initiativen für digitale Bildung, alters- und länderübergreifend, um aufgeklärte, mündige Internetnutzung zu ermöglichen. Das ist ein wichtiger Faktor zur Verbesserung der Internetgesundheit.

 

Wie verbindet sich deine Aufgabe als Chief Innovation Officer mit der Internet-Gesundheit?

Unsere Kernaufgabe ist es, möglichst vielfältige Perspektiven in Innovationsprozesse zu bringen. Wir sind ja ein Open-Source Unternehmen. Teil unserer Kultur und unserer DNA ist es, Produkte und Technologien kollaborativ zu entwickeln. Die Grenzen zwischen Festangestellten, Partnern aus Universitäten oder anderen Unternehmen und Freiwilligen, die sich in den verschiedenen Projekten und Communities engagieren sind fließend. Ein großes Stichwort ist hier Crowd-Sourcing. Ein tolles Beispiel dafür ist unser Common Voice Projekt. Dabei geht es darum Spracherkennungssoftware und -datenbanken zu schaffen, die offen zugänglich sind, anders als bei Siri und Alexa.

 

“Innovation kommt auch von außen. Das bedeutet: offen und kollaborativ sein, neue Methoden ausprobieren und externe Partner gewinnen”
Katharina Borchert Mozilla Chief Innovation Officer

Mit der Kraft der Gemeinschaft gegen Monopole…

Ja. Es gibt nur eine Handvoll Firmen, die ausreichend große Datenbanken in mehreren Sprachen haben, um diese Spracherkennungssysteme zu bauen. Und diese Datenbanken sind nicht öffentlich zugänglich, weder für die Forschung, noch für Start-ups – nur für die Firmen, die sie besitzen. Um überhaupt wieder Wettbewerb und breite Innovation zu ermöglichen, haben wir beschlossen: Wir bauen eine eigene offen zugängliche Sprachdatenbank mittels Crowdsourcing auf. Da ist mein Team ins Spiel gekommen und hat eine Website und eine App gebaut, die es allen, die mitmachen wollen, leicht macht, ihre Stimme unserem Projekt zu schenken. Mit diesen Datensätzen kann wiederum Spracherkennungssoftware trainiert und verbessert werden. Dieses Beispiel zeigt sehr gut den Ansatz von Mozilla, dass sich mit der Macht und der Kraft von vielen Menschen gemeinschaftlich ein Projekt aufbauen lässt, um eine neue öffentliche Ressource zu schaffen.

 

Mit dem neuen Berliner Büro will Mozilla ja nicht nur Europäischer Hub, sondern auch Treffpunkt und Schnittstelle für Internet Policy Maker, Aktivisten, Gründer und Kreative sein. Geht der moderne Gedanke von Community über Code und technische Entwicklung hinaus?

Innovation bedeutet, in den eigenen Prozessen und der Praxis ständig besser zu werden. Open Source Softwareentwicklung wird natürlich weiterhin zentral dafür sein, wie Mozilla arbeitet. Gleichzeitig entwickeln wir neue Wege offen und kollaborativ zu sein. So zum Beispiel durch eine Reihe von Partnerschaften: mit Forschungseinrichtungen, anderen Unternehmen oder gemeinnützigen Organisationen, die unsere Werte teilen und das spannend finden, was wir machen. Es geht darum gemeinsam etwas zu entwickeln und voranzutreiben: ob Code, neue Produkte, netzpolitische Positionen, Web-Standards oder offene Datenbanken.

 

Mit Mitarbeitern aus 13 Ländern ist das Berliner Büro aktuell die internationalste Dependance. Dazu kommt ein extrem breites fachliches Spektrum…

Dieses Büro zeichnet sich tatsächlich durch ganz besondere Vielfalt aus. Wir haben hier eine sehr gute Geschlechter-Balance, wir haben Leute aus den unterschiedlichsten geographischen Regionen und kulturellen Hintergründen. Wir haben aber auch Leute mit sehr unterschiedlichen beruflichen Hintergründen und Kompetenzfeldern sitzen. Hier gibt es ja wirklich alles von Community Management über Marketing bis hin zur App-Entwicklung, Crypto Engineering, Data Scientists und den Spracherkennungs-Spezialisten vom Common Voice Projekt.

 

Was ist noch besonders am Berliner Standort?

Ich bemerke hier so bestimmte Eigenarten, die ich auf das Positivste und Charmanteste deutsch finde. Wenn man hier reinkommt, fällt einem zuerst dieser endlos lange Tisch in der Küche auf, an dem bestimmt 40 Leute passen. Man isst gemeinsam Mittag! Ich glaube tatsächlich, dass es ein sehr deutsches Kulturgut ist: sich gemeinsam zum Essen an einen Tisch zu setzen. Das habe ich so noch in keinem anderen Mozilla Büro erlebt, und das weiß ich sehr zu schätzen.

 

Text: Anne Nürnberger
Fotos: Falko Siewert