Wie Privatsphäre immer exklusiver wird – und zwar überall auf der Welt

Cathleen Berger

Wie Privatsphäre immer exklusiver wird – und zwar überall auf der Welt

Cathleen Berger

Privatsphäre gehört zum Kern unseres Seins. Sie zu schützen wird allerdings immer aufwändiger: Abzuschalten ist mittlerweile ein Luxus. Dabei geht es nicht nur darum, mal offline zu entspannen und Urlaub vom Digitalen zu machen. Das Recht, offline zu gehen, berührt unseren persönlichen Freiraum — und ist zunehmend schwieriger durchzusetzen.

Eine englische Version dieses Beitrags ist hier erschienen: https://medium.com/@_cberger_/privacy-comes-with-rising-cost-across-the-world-d9999c9cafb7

Vor ein paar Monaten habe ich mittels einer kurzen Twitter-Umfrage Menschen gefragt, welche technologische Entwicklung sie in Sachen Privatsphäre am beunruhigendsten finden — das Internet der Dinge (IoT), Smart Cities oder Digital-Initiativen von Regierungen, wie beispielsweise digitale Identitäten?
Von den 180 Leuten, die abgestimmt haben, hat sich ein Drittel für die Antwort “Nichts davon, Privatsphäre ist tot” entschieden. 30 Prozent wählten IoT, 22 Prozent digitale Identitäten und 15 Prozent Smart Cities. Nun könnte man sagen, dass das Ergebnis recht klar ausgefallen sei; gäbe es da nicht die Kommentare. Denn gleich mehrere Leute aus der vergleichsweise kleinen “Smart Cities”-Gruppe betonten, dass man sich dem öffentlichen Raum nicht entziehen könne, weshalb bei Ihnen ein Gefühl des Kontrollverlustes und mangelnder Selbstbestimmung aufkam. Oder anders formuliert:

Das Problem ist nicht die Technologie, sondern ob man eine Wahl hat, sich ihr zu entziehen oder nicht.

Diese Ergebnisse habe ich für den Einstieg in eine spannende und etwas differenziertere Panel-Diskussion während der diesjährigen RightsCon in Toronto genutzt. Mit dabei waren Joana Varon (ED CodingRights, Brasilien), Scout Brody (ED Simply Secure, USA) und Ephraim Kenyanito (Digital Program Officer Article 19, Kenia). Aufbauend auf ihren eigenen Geschichten und mit viel Feingefühl für kulturelle Unterschiede im Umgang mit solchen technologischen Entwicklungen, gaben diese ausgewiesenen Experten dem Publikum einige — teilweise auch beunruhigende — Beobachtungen mit auf den Weg.

IoT, insbesondere im eigenen Zuhause, berührt unsere Intimsphäre. Wir geben diesen Geräten Zugang zu allen Bereichen unseres Lebens — schließlich können sie unheimlich praktisch sein. Zumindest bis man über Dinge wie Überwachung, Sicherheitslücken, Interoperabilität, Energieverbrauch etc. pp. nachdenkt.

Die potenziellen Probleme mit Smart Cities scheinen etwas weniger greifbar. Wir erfuhren, dass solche Projekte gerade in Lateinamerika und Afrika oft mit Versprechungen für mehr Sicherheit oder weniger Kriminalität einhergehen — nur um dann letztlich gegen Oppositionelle, zur Fabrikation von Beweisen und mit eklatanten Mängeln in der Datensicherheit eingesetzt zu werden.

Die zunehmende Verwendung biometrischer Daten im Kontext digitaler Identifikationsprojekte geht auch mit massiven Sicherheitsrisiken einher, die noch dadurch verstärkt werden, dass viele dieser Projekte mithilfe öffentlich-privater Partnerschaften umgesetzt werden. Oftmals — insbesondere in Afrika — lässt das Fragen zur Verwendung und Speicherung von Daten sowie zu Zugriffsrechten offen. Was noch schlimmer ist: Ohne rechtlich geregelten Datenschutz sind Korrekturen oder Entschädigungen nahezu unmöglich.

Zusammengenommen machen uns diese Entwicklungen regelrecht ohnmächtig; dem Wohlwollen staatlicher und privater Akteure quasi ausgeliefert, können wir nur noch hoffen, dass sie in unserem Interesse handeln werden. Es mag wenig überraschen, dass zynische Kommentare die Panel-Diskussion begleiteten — was womöglich auch einen anderen Blick auf die “Privatsphäre ist tot”-Vertreter erlaubt. Persönliche Kontrolle, individuelle Entscheidungen, Selbstbestimmung — alles Dinge, die eng mit dem Bedürfnis nach Privatsphäre verwoben sind, gleiten uns zunehmend aus den Fingern. Das eindeutige Fazit des Panels: Privatsphäre ist und bleibt ein Grundbedürfnis, um das wir an allen erdenklichen Fronten kämpfen müssen.

Und das ist keinesfalls eine isolierte, einseitige Einschätzung, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Im Rahmen der diesjährigen re:publica in Berlin habe ich zusammen mit zwei Kollegen einen Talk gehalten, in dessen Mittelpunkt die Zukunft eines sprachgestützten Internets stand. Das Potenzial einer so natürlichen Interaktion, die alle erdenklichen Hindernisse überbrückt, ist gewaltig. Und doch brachten unterschiedlichste Leute, sowohl vor als auch nach meinem Talk, ein und dieselbe Sorge zur Sprache: die Sicherheit und Privatsphäre unserer Daten. Noch interessanter sogar war, dass sie fragten, wie man die Anonymität der hochsensiblen biometrischen Sprachdaten schützen könne — sowohl vor dem Hintergrund der DSGVO als auch mit Blick auf die Angst vor emotionaler Manipulation und anderen Betrügereien.

CyFy Africa Diskussion um Privatsphäre

Während der ersten CyFy Africa in Marokko konnten wir mithilfe einer von Gbénga Sèsan (ED of Paradigm Initiative Nigeria) angestoßenen Twitter-Umfrage die Behauptung widerlegen, Privatsphäre sei ein längst überholtes Konzept: Menschen unter 24 wurden gefragt, ob ihnen Privatsphäre noch wichtig sei, was 47 Prozent der 301 Stimmen ganz klar mit “Absolut!” beantworteten — eindeutig auch der Grundtenor bei dieser Veranstaltung. Von afrikanischen Teilnehmern hörten wir, dass selbst wenn Privatsphäre nicht per Verfassung festgeschrieben sei, sie dennoch eine zwingende Voraussetzung für die Wahrung der Menschenwürde sei und entsprechend kaum grundsätzlicher sein könnte.

Anfang des Jahres haben wir zudem ein Twitter-Q&A über den Mozilla-Twitterkanal rund um #LuxuryToDisconnect mit Frederike Kaltheuner, Claudio Guarnieri und Diego Naranjo organisiert. Hier ein Auszug aus ihren Empfehlungen:

Um es in Frederikes Worten zu sagen: “Es ist völlig in Ordnung, immer online zu sein, immer Informationen zu teilen — aber es sollte nach unseren eigenen Bedingungen geschehen: Ich will selbst entscheiden. Rechtliche Vorschriften können dabei eine wichtige Rolle spielen, von Datenschutz über Wettbewerbsgesetze bis hin zu Verbraucherschutz.” Diego dagegen empfahl, Social-Media-Accounts zu löschen, weniger Eigenmarketing im Web zu betreiben und dafür mehr Zeit mit Offline-Aktivitäten zu verbringen, wie zum Beispiel mit Spaziergängen im Park, Picknicks oder Verabredungen mit Freunden.

Natürlich sind die Menschen in meinem Twitter-Umfeld und bei den Konferenzen, auf denen ich spreche, eher aktivistisch eingestellt, haben ein sensibles Gespür für Privatsphäre-Themen und repräsentieren nicht unbedingt die Mehrheit der Leute im ‘echten’ Leben (oder wie man online sagen würde: IRL – ‘in real life’). Zugleich sind sie von ihnen aber auch nicht völlig losgelöst. Vielmehr repräsentieren sie Schnappschüsse von allen Kontinenten und erlauben differenzierte Einblicke, die allesamt darauf hindeuten, dass das Bewusstsein für Privatsphäre ein wachsendes Publikum findet.

Die Menschen haben nicht etwa ihre Neugierde gegenüber Innovationen oder technischen Spielereien verloren. Während sich Technologie ihren Weg in alle Bereiche unseres Lebens bahnt, ist es allerdings unabdingbar, ein Gefühl von Kontrolle zu behalten — was, zumindest teilweise, eng mit Vertrauen verknüpft ist. Vertrauen wir öffentlichen und privaten Akteuren, dass sie unsere Entscheidungen respektieren und unsere Rechte schützen? Vertrauen muss hart und kontinuierlich erarbeitet werden. Und Technologie muss im Sinne ihrer Nutzer konstruiert sein — was auch bedeutet, dass man hin und wieder eine Pause von ihr machen können muss, ganz unabhängig von kulturellen, politischen und ökonomischen Gegebenheiten.

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