Kommt Dir folgendes bekannt vor: Dein Tag beginnt, mit Kaffee vielleicht. Im Bett noch. Du öffnest Deinen Laptop, surfst ein bisschen umher – von Plattform zu Plattform. Irgendwann öffnet sich auf einer dieser Plattformen, Facebook vielleicht oder welche auch immer, ein Fenster und kündigt eine neue Datenschutzvereinbarung an, eine Vereinbarung zwischen Dir und dieser Plattform. Du scrollst nach unten (ohne zu lesen), klickst auf die kleine Schaltfläche und stimmst zu. Was auch immer die da von Dir wollen. “Akzeptieren!” und los geht’s!
Moooooment!
Stell Dir das mal in einem anderen Kontext vor. Stell Dir vor, du triffst Dich mit Deinen Freunden in einem Cafè und beim Übertreten der Türschwelle wird dir erstmal ein zwanzigseitiger Vertrag vorgelegt, in dem Du darüber aufgeklärt wirst, dass Du Dich mit dem Betreten des Cafès dazu bereit erklärst, alles, was Du sagst, aufnehmen zu lassen, um die Informationen anschließend an einen Tupperware-Vertreter zu verkaufen, inklusive Deiner Adresse, Telefonnummer und natürlich auch, welchen Kuchen Du liebst und wie Du Deinen Kaffee trinkst – damit der Tupperware-Vertreter Dich später nach allen Regeln der Kunst zum Kauf der neuesten Modelle verführen kann. Zwanzigseitiger Vertrag. Wer weiß, was da noch alles drin steht. Würdest Du den tatsächlich unterschreiben – so leichtfertig wie du es online tust -, ohne ihn vorher zu lesen?
Es ist schon verrückt. Da leben wir in einer Welt, in der wir unsere Kühlschränke vernetzen, damit sie Milch bestellen wann immer das nötig ist und haben dennoch diese seltsame online/offline-Schere im Kopf: Was ich online mache, ist eine Sache. Im realen Leben ist das ja ganz anderes. Diese Trennung ist gefährlich. Denn fast alle Bereiche unseres realen Lebens spielen sich heute online ab. Wir Menschen sind in eine Welt permanenter Digitalisierung eingebunden: IoT, Smart Cities, digitale Regierungsinitiativen (inkl. Digitale Identitäten), Social Media und der Druck, ständig verfügbar zu sein. Und bei all dem kursiert unser Innerstes nach Außen gekehrt fröhlich durch den Raum: In Form sensibler Daten, auf die keiner so richtig Acht gibt.
Doch was es bedeuten kann, wenn privates plötzlich ganz öffentlich wird, aus dem Kontext gerissen und irgendwie verdreht dargestellt, um einem anderen Zweck zu dienen, zeigt das Beispiel von Tom Hayes. Tom bekam 2011 die Diagnose: HIV positiv. “Meine unmittelbaren Fragen waren: Wie lange werde ich noch leben? Werde ich jemals wieder Sex haben? Werde ich jemals wieder eine Beziehung haben?” Langsam, aber sicher hat Tom gelernt, mit der Diagnose zu leben. Er startete sogar einen anonymen Blog namens UK Positive Lad (BeyondPositive), der viele Fans gewonnen hat. Lange Zeit aber behielt Tom sein Schicksal für sich. Wahrte das Geheimnis. Schützte seine Privatsphäre. Erst 2013 weihte Tom engste Verwandte und Freunde ein. Und sollte das bitter bereuen:
“Ich war mit Freunden in einem chinesischen Restaurant und mein Telefon vibrierte und vibrierte. Ich habe die ganze Zeit versucht, das zu ignorieren, weil ich mit Freunden bei einem Essen war und nicht unhöflich sein wollte, indem ich die ganze Zeit mit meinem Telefon beschäftigt bin. Aber es hörte nicht auf, also hab ich irgendwann draufgeschaut. Mein Ex-Freund und seine Freunde posteten auf Facebook und Twitter: “Tom hat AIDS und er läuft rum und infiziert andere Leute.”
Schock. Stille. Lähmung. Für Tom brach eine Welt zusammen. Er hat die Kontrolle über seine persönlichsten Geheimnisse, ja seine sensiblen Daten, verloren. Und das ohne eigenes Verschulden. Schließlich hat Tom getan, was wir alle tun: Er vertraute sich jemanden an, der ihm sehr nahe stand und von dem er nie erwartet hätte, dass dieser sein Vertrauen missbrauchen würde.
Toms Geschichte erinnert ein bisschen an etwas, das bei der Queer-Dating-App Grindr vor einiger Zeit passierte. Grindr hat Millionen von Nutzern. Keiner von ihnen steht in einer, sagen wir mal, persönlichen Beziehung zur App und dennoch vertrauen alle dieser App unfassbar persönliche Details über sich selbst an. Und dann das: Die App stellte zwei anderen Unternehmen Daten über den HIV-Status ihrer Nutzer zur Verfügung. SAY WHAT?
Die Nutzer von Grindr, dachten sie, würden ein Schnippchen schlagen: Ein bisschen Daten gegen kostenlose, unkomplizierte Dating-App. Sie haben darauf vertraut. Was sie aber tatsächlich bekamen: eine massive Verletzung ihrer Privatsphäre. Unverschuldet? Hm, hier liegt die Krux: Jeder von ihnen hatte “AGBs akzeptieren” geklickt, um die App zu nutzen. Und somit ist diese Datenschutzverletzung vollkommen legal. In Grindrs Fall war der ganze Datenleak nicht mal bösartig motiviert. Ein Fehler im System. Kaum auszudenken, was alles möglich ist, oder? All diese kleinen, scheinbar harmlosen Entscheidungen, die wir anderen in unserem Namen erlauben, sind nicht neutral. Es steht viel auf dem Spiel. Wo ist denn der Unterschied, ob Deine Freunde Deine Geheimnisse hinter deinem Rücken weitererzählen – oder eine Software?
Das bedeutet natürlich nicht, dass wir jetzt alle panisch und in ‘Kevin-Allein-Zuhaus’-Manier vor diesen vielen kostenlosen Angeboten wie Grindr, Facebook und so weiter davon laufen. Das sind tolle Möglichkeiten, sie helfen uns, uns zu vernetzen, sie machen unser Leben leichter, geben uns manchmal einfach etwas Zeit zurück. Ja, sie haben ihren ganz eigenen Wert. Zudem wird es heutzutage extrem schwer, nichts im Internet zu teilen ohne Gefahr zu laufen, in irgendeiner Form sozialen Ausschluss zu erleben. Worauf es aber und deswegen ankommt, ist die Balance zwischen dem, wie viel wir in Form von Daten “bezahlen” und was wir dafür bekommen. Ein allgemeines “sich-bewusst-machen”, dass kostenlos in diesem Fall nicht tatsächlich kostenlos ist.
Die einzige Datenschutzrichtlinie, die wirklich zählt, ist Deine eigene. Denn Deine Google-Suchen stehen von den sprichwörtlichen Toten wieder auf und kommen als Werbeanzeigen zurück. Cookies kleben an Dir wie Teer und wenn Du in einen Laden gehst, ist es sehr wahrscheinlich, das irgendwo eine Benachrichtigung darüber eingeht. Diese kleinen Privatsphäre-Abgreifer finden sich überall und meistens steckt da ein ziemlich großes finanzielles Interesse dahinter: Werbung. Werbung. Werbung.
Man denke nur an Cambridge Analytica. Oder an Unternehmen wie Palantir. Palantir verwendet Daten, um zu prognostizieren, wie sich Menschen verhalten werden. Es reicht schon aus, dass einige Deiner Datenpunkten denen eines Kriminellen ähneln, um Dich verdächtig aussehen zu lassen. Lizette fasste das Problem in einem kürzlichen Artikel brillant zusammen: “Daten sind Schicksal”. Und falls Du jetzt denkst, dass das nicht Dein Problem ist, weil Du nichts mit kriminellen Machenschaften am Hut hast: Mooooment: Unternehmen wie Palantir haben ihre Finger nicht nur in der Strafverfolgung. Alle Unternehmen wollen wachsen. Und als Palantir sich das vornahm, begannen sie mit Coca-Cola, mit Nasdaq, mit Walmart Geschäfte zu machen. Die Hälfte des Umsatzes kommt jetzt aus dem privaten Sektor, was bedeutet, dass diese Software jetzt auf Dich trainiert ist. Auf Dein verhalten, Deine Routinen, Deine Eigenschaften – um Dein Verhalten vorherzusagen und Dich so zu einem leichten Ziel für Werbetreibende zu machen. Wir werden zu Marionetten – und merken es nicht einmal. Minority Report im echten Leben sozusagen.
Ok. Aber was machen wir jetzt damit? Eine der optimistischsten Visionen für ein wirklich neues Geschäft kommt vom Silicon-Valley-Guru und allround Brillant Jaron Lanier. Er hat folgende Idee: Was wäre, wenn wir statt mit unseren privaten Daten mit echtem Geld für all diese vermeintlichen Services zahlen würden? Zumindest diejenigen, die es sich leisten können. Wenn Du jetzt denkst: Niemals zahle ich dafür, bei Google etwas zu suchen oder um Facebook zu nutzen, erinnere Dich daran, was mit Netflix, Amazon Prime und so fort passiert ist. Diese Dienste haben Fernsehen genommen und in ein Abonnement-Modell umgewandelt, bei dem Du statt mit Deiner Zeit, in der Du dir Werbung anschauen musst, mit einem monatlichen Beitrag bezahlst. Und es funktionierte. Selbstverständlich ist diese Idee nicht vollkommen ausgereift. Fragen nach der Inklusion von Menschen, die sich so etwas nicht leisten können, sind nicht leicht zu beantworten und müssten es aber werden, bevor solche Abonnenten-Modelle auf großer Ebene Sinn ergeben könnten. Nichtsdestotrotz müssen wir beginnen, über Alternativen nachzudenken. Den Werbe-Daten-Hahn zudrehen. Uns selbst beschützen.
“Ich glaube nicht, dass unsere Spezies überleben kann, wenn wir das nicht beheben. Wir können keine Gesellschaft haben, in der, wenn zwei Menschen miteinander kommunizieren möchten, das nur dann funktioniert, wenn das durch eine dritte Person (dem Anbieter) ‘finanziert’ wird, die sie manipulieren möchte.” – Jaron Lanier
Wir haben erst vor kurzen über das Thema des Datenhandels mit Katharina Nocun gesprochen, Netzaktivistin und Autorin. In ihrem Buch “Die Daten, die ich rief” unternimmt sie eine “Reise” entlang der Datenspur, die wir alle legen. Es ist absurd, was Unternehmen von uns wissen – weil wir ihnen die Informationen unbedaft und freiwillig zur Verfügung stellen. (Übrigens: Das Buch ist gerade auch als Hörbuch erschienen.
Du willst mehr erfahren? Höre jetzt die neueste Folge von Mozilla’s IRL Podcast (auf Englisch) “The Grand Bargain”.
Download Firefox
Dein Browser, Deine Daten, Deine Alternative. Firefox!
Download Firefox.