Lass tracken: Das Tracking-Tagebuch mit Schlecky Silberstein
Was ist eigentlich Online-Tracking und warum geht mich das was an? Für unsere Tracking Tagebücher dokumentieren liebe Leute einen Tag lang, wie viele Online-Tracker sich im Internet an ihre Fersen heften.
Mit dem Firefox Privatsphäre-Schutz-Bericht, zu dem auch du übrigens Zugriff hast, konnten sie genau sehen, wann ihnen wie viele Tracker online auf der Spur waren.
Unsere Freiwilligen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen geben uns einen Einblick in ihr persönliches Tracking-Tagebuch und sagen uns, wie sich das so anfühlt, wenn man plötzlich sieht, was sich sonst hinter den Kulissen abspielt.
Star dieser Folge: Schlecky Silberstein
Beruf: Autor, Schauspieler und Blogger
Datum des Berichts: 28.12.2019
9:00 Uhr | Tracker = 0
schleckysilberstein.com
Der Tag beginnt mit einem Schock: Das mit Abstand verseuchteste Medium im deutschsprachigen Internet ist ausgerechnet eines, dessen Macher seine eigene Integrität aufs Schmierigste vor sich herschiebt: schleckysilberstein.com
Ich muss mich setzen. Weil ich bereits auf einem Stuhl sitze, setze ich mich auf den Boden. Der feine Herr Silberstein tourt dick und fett durch Deutschland und erklärt den Datenkapitalismus zur größten Bedrohung der Menschheit, aber auf der eigenen Seite wuchern 67 (!) von Firefox blockierte Tracker. Ich denke an Rücktritt. An den meisten Trackern verdiene ich gar nichts mehr, aber sie sind immer noch aktiv. Ich gebe zu: Ich habe die Seite seit der Gründung 2010 kein einziges Mal aufgeräumt und die alten Tracker mit jedem Server-Umzug einfach mitgeschleppt. Aber schön ein Buch mit dem Titel “Das Internet muss weg” schreiben. Das sind mir die Richtigen.
Ich gelobe, bis ersten Februar 2020 eine Seite zu bewirtschaften, die meinen eigenen Ansprüchen Rechnung trägt, aber messt mich bitte an meinen Taten. Peinlich.
10:00 Uhr | Tracker = 68
facebook.com
Ein Unternehmen, das ich direkt für den Untergang der Demokratie verantwortlich mache. Aber watt willste machen? Meine Firma hat einen Vertrag mit Funk, der regelt, dass meine Show Browser Ballett auf Facebook ausgespielt wird. Der Grund ist einfach: Die Zielgruppe ist hauptsächlich auf Facebook und Instagram unterwegs und der öffentlich-rechtliche Auftrag sieht nunmal vor, möglichst viele Gebührenzahler zu erreichen. Die würden mir und meinem Team was husten, wenn wir die Alternative Diaspora als Kanal wählten. Ich komme mir dabei nur bedingt schuldig vor, denn Facebook ist ein lupenreines Monopol. Mit seiner Marktmacht kauft es regelmäßig Konkurrenten auf und kann seinen Nutzern damit im Facebook-Ökosystem halten bzw. die Bedingungen diktieren unter denen wir uns auf der Plattform bewegen.
11:00 Uhr | Tracker = 121
bild.de & Spiegel Online & FAZ.net
Ich suche Themen für die Show und brauche dafür nur drei Medien, weil sich Journalismus an Trendthemen orientiert. Trends versprechen Zahlen, wer über den Hunger in der Welt berichtet, arbeitet abseits der Trends “Nazis”, “Sicherheit” und “Klimawandel”, entsprechend riskant ist ein Artikel über die ärmsten Länder der Erde. Über alle drei Medien kann ich sagen: Die Anzahl der Tracker ist überschaubar und schäme mich einmal mehr über meine eigene Seite.
12:00 Uhr | Tracker = 329
twitter.com
Mein Lieblings-Service hilft mehr ebenfalls bei der Themenfindung, ich erschrecke mich über mich selbst beim Gedanken: Mal sehen, wer heute etwas falsch gemacht hat. Die meisten Twitter-Nutzer kennen das. Der Mensch ist leider das einzige Landlebewesen, das ein System entwickelt hat, andere öffentlich zu maßregeln und daraus auch noch tiefe Befriedigung zu ziehen. Ich folge blind einigen Links, weil ich zu faul bin, alles zu protokollieren. Würde ich bei einem echten Tagebuch auch nicht machen.
13:00 Uhr | Tracker = 465
pornhub.com
Nein, nicht was Sie denken, werter Leser. Ich bin einfach auf der Suche nach einer Seite, die mehr Tracker als meine eigene verwendet und dachte, bei der führenden Plattform für Erwachsenenunterhaltung werde ich fündig. Fehlanzeige. Pornhub verwendet vorbildlich wenige Tracker.
14:00 Uhr | Tracker = 479
amazon.de & deepl.com
Ich kaufe mir das Buch “La fin de l’individu” vom französischen Philosophen Gaspard Koenig. Es geht um die Frage, inwiefern sich das Individuum auflöst, wenn es von Algorithmen und Adtrackern soweit ausgelesen wird, dass uns die mächtigsten Unternehmen besser kennen als wir uns selbst. Einmal mehr denke ich an meine eigene Seite und muss lachen. Das Buch ist noch nicht auf Deutsch erschienen, daher nutze ich das unfassbar beeindruckende Tool DeepL. Es lernt aus den Daten seiner Nutzer, verwickelt mich aber nicht in AGB, die ich ohnehin nicht lese. Ich frage mich, womit DeepL Geld verdient, erfahre unter den Datenschutzbestimmungen aber tatsächlich, dass meine Daten nicht an Dritte zur Weiterverarbeitung weitergegeben werden. So macht Internet Spaß. Aber womit verdienen die verdammt noch mal ihr Geld?
15:00 Uhr | Tracker = 502
jetzt.de
Stolpere über einen Artikel, der mich bestürzt: Simon Hurtz und Charlotte Haunhorst berichten über eine Reichweitendrosselung von jetzt.de, weil Facebook auf der Seite den Verdacht auf Clickbaiting registriert hat. Wow. Ich wusste nicht, dass Facebook solche Maßnahmen ergreift. Überdies handelte es sich bei den beanstandeten Headlines in meinen Augen nicht um die klassischen “Du wirst nicht glauben Headlines”. Jetzt.de soll in mehreren Headlines Informationen zurückgehalten haben. Eine lautet “Fast-Food-Kette schließt nach Protesten die einzige Filiale in Europa“. Tja. Also ich sehe da jetzt keinen Clickbait. Aber Facebook darf das so einstufen. Ich erinnere mich daran, dass wir beim Browser Ballett vorsichtig mit der Kritik an Facebook sind, weil wir uns ebenso sorgen, aus Gründen gedrosselt zu werden, die uns Facebook nicht nennen muss. Die Tracker auf jetzt.de sind übrigens die üblichen Verdächtigen, wobei ich bemerke, dass mir völlig schleierhaft ist, wer oder was sich hinter hinter 3lift.com oder xplosion.de verbirgt. Ich könnte nachsehen, tue es aber aus Bequemlichkeit nicht und mache mich damit mitschuldig an den Funktionsweisen des unregulierten Datenkapitalismus.
16:00 Uhr | Tracker = 533
gimp.org
Lade mir die kostenlose Photoshop-Alternative GIMP runter, um ein paar Slides für eine Präsentation aufzuhübschen, die sich im Kern um die Gefahren des Internets für Kinder dreht. Dabei merke ich, wie sehr ich das Internet liebe: GIMP verfügt über alle Funktionen, die ich bei Photoshop brauche, die Macher finanzieren sich über Spenden. Auf der Seite gibt es keinen einzigen Tracker, das heißt: Nicht mal Werbeeinnahmen werden generiert. Das ist der Idealismus, der das Internet geil gemacht hat. Da sitzen ein paar Freiwillige und schrauben aus Lust und Laune ein stabiles Bildbearbeitungsprogramm zusammen, weil sie finden, dass es sowas geben sollte. Mad respect.
17:00 Uhr | Tracker = 533
theverge.com
Lese einen Artikel über rechte Aktivistengruppen auf Discord. Es geht im weitesten Sinne um Dark Social, also soziale Netzwerke, in die man eingeladen werden muss. Hier lässt sich abseits der Öffentlichkeit vom Staatsstreich bis hin zum Raid auf Journalisten alles planen. Der Datenschutz lässt es zu und ich frage mich einmal mehr, ob das erlaubt sein sollte. Über Discord können sich nicht nur Rechtsradikale sondern auch Bürgerrechtler aus autokratischen Staaten vernetzen. Das eine ist dramatisch, das andere begrüße ich. Zwiegespalten schließe ich den Tab und widme mich Google.
18:00 Uhr | Tracker = 570
google.com
Suche Informationen über Cannabidiol. Eine befreundete Standupperin schwört auf das Zeug, weil es ihr das Lampenfieber nimmt. Bin ich jetzt durch meine Suche in ein neues Zielgruppenraster gerutscht? Viele, die Cannabidiol googeln, weisen Symptome von psychischen Erkrankungen vor. Mir ist mulmig. Als ich 2004 unter einer Depression litt, habe ich Google mit Suchanfragen zu meinen Symptomen bombardiert und dem Unternehmen aufs Transparenteste ausgebreitet, wie schlecht es mir ging. Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, was Google mit diesen Informationen macht. Google muss übrigens gar nichts heimlich tracken, ich offenbare mich freiwillig. Auch beruflich: Meine Firma arbeitet mit der unfassbar praktischen G Suit, die tüchtig trackt.
18:00 Uhr | Tracker = 618
endlich offline
Ich gehe mit Kollegen etwas trinken und rede mit ihnen über mein Tracking-Tagebuch. Die Gespräche sind gut, aber auch von einer gewissen Hilflosigkeit geprägt. Diese Produkte sind so gut, dass wir die Risiken ignorieren. Wir sind uns alle einig, dass wir als User im Zweifel zu schwach sind, uns der Vermessung unserer selbst entgegenzustellen. Wir wünschen uns Gesetze, die uns vor den Wucherungen des Datenkapitalismus schützen. Wir schimpfen oft und leidenschaftlich über Politiker, aber gerade in dieser Sache wird uns bewusst, dass nur die Politik die Möglichkeit hat, die einflussreichsten Unternehmen der Welt in ihre Schranken zu weisen. Naja, ein bisschen was kann ich auch tun. Ich werde schleckysilberstein.com aufräumen.
Nicht nur Schlecky, der zweiter Vorstand der Gesellschaft für digitale Ethik ist, sondern wir alle werden allein innerhalb eines Tages von hunderten Drittanbieter-Trackern verfolgt – ohne dass wir dafür unsere Zustimmung gegeben haben und ohne es zu merken. Das ist nicht ok.
Firefox blockiert Drittanbieter-Tracking Cookies automatisch und lässt dich in deinem persönlichen Privatsphäre-Schutz-Bericht sehen, was genau geblockt wird.
Dein Schutz vor Hackern
Überprüfe, ob deine E-Mail-Adressen schon einmal von einem Datenleck betroffen war. Firefox Monitor gleicht sie mit bekannt gewordenen Datenlecks ab und warnt dich, wenn deine persönlichen Infos in Gefahr sind.