Maschinen werden emotionaler sein als Menschen

Könnte es sein, dass das Thema “Big Data” so groß ist, weil jeder etwas anderes darunter versteht und es deshalb nur den Anschein hat, dass alle betroffen sind? Das Programm des diesjährigen Interfilm Festivals, eines der renommiertesten Kurzfilmfestivals der Welt, hat uns dabei geholfen, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

Das Festival hatte eine eigen Reihe zum Thema Big Data ins Programm genommen. Zu sehen waren Filme über

  • eine Frau, die in den Abwind eines Shitstorms gerät (I know you from somewhere von Andrew Fitzgerald),
  • eine Drohne, die menschliche Gefühle entwickelt (Project X von Laura Poitras, Henrik Moltke),
  • die schmierige Wohlfühlatmosphäre, die uns dazu bringt, den Nutzungsbedingungen im Netz zuzustimmen (Call of Comfort von Brenda Lien),
  • einen Mann, der mit “wifi and wife” verheiratet ist (iRony von Radheya Jegatheva),
  • die gewaltsamen Abgründe des Internets und das kollektive Gedächtnis (32 Rbit von Victor Orozco Ramirez),
  • das Leben als eine Abfolge von Selfies (Selfies von Claudius Gentinetta)
  • Haustiere, die der Genetik ihrer Besitzer angepasst, dann in China vervielfältigt und für 99 Cent verkauft werden (Bue-Eyed Me von Alexey Marfin),
  • das Leben als Überwachungskamera (Sachstandsdokumentation von Beatrice Schuett)
  • und schließlich über menschliches Verhalten, das Maschinen nicht lesen können (Best Game ever von Kristóf Deák).

Kann man einen sinnvollen Zusammenhang zwischen dem Eingriff in das menschliche Erbgut und den Nutzungsbedingungen von kommerziellen Webseiten herstellen? Ist das beides ein Teil von Big Data?

Ein Panel, zusammengesetzt aus zwei Digitalexperten (Solana Larsen von Mozilla und Ingo Dachwitz von Netzpolitik.org) und zwei Filmemachern (Brenda Lien und Igor Simic) hat sich dieser Frage in der Firefox Lounge beim Interfilm Festival gestellt.

Die Organisatoren hatten die interessante Idee, die Teilnehmer vorzustellen, indem sie – ohne es vorher angekündigt zu haben – Ausschnitte aus den jeweiligen Facebook-Profilen an die Wand projizierten und damit tatsächlich eine im Raum spürbare Atmosphäre der totalen Überrumpelung herstellten. Denn diese Projektion implizierte ja, dass Big Data etwas mit Privatsphäre zu tun hat. Aber hat es das?

Privatssphäre live: Das Facebook-Profil als Visitenkarte an der Wand.

Auf jeden Fall kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen: die meisten Menschen verbinden etwas Beunruhigendes mit dem Thema (was natürlich auch damit zu tun haben könnte, dass es so wenig zu fassen ist).

Wenn Nutzer den neuen AGB von Facebook zustimmen, willigen sie ein, dass Gesichtserkennung standardmäßig erlaubt ist. Facebook tut dies wie immer sehr versteckt und mehr oder weniger heimlich, sodass man den Aufschrei fast körperlich spürt: Internet und heimlich – das muss Big Data sein.

Die Filme waren zwar durchaus nicht frei von Komik und Ironie, aber es gab doch immer den Moment, der das Lachen im Halse einfror und auch dies scheint eine ziemlich präzise emotionale Zusammenfassung von Big Data zu sein: Sobald wir glauben, Big Data könnte auch etwas Positives haben, zeigt uns ein Teufel die Schattenseite.

Alle Beiträge suggerieren ferner, dass etwas mit uns und mit unseren Gesellschaften geschieht, das nicht wir selbst und nicht das echte Leben ist. Big Data, so lernen wir, ist eine Simulation von Leben, dem das Echte, sagen wir mal “das Seelische” fehlt und das sich unerkannt zwischen Mensch und Welt schiebt und alles von sich selbst entfremdet.

Brenda Lien, Solana Larsen, Ingo Dachwitz und Igor Simic (von links nach rechts)

“Big Data”, meint Igor Simic dazu, “kreiert maschinelle Persönlichkeiten, die wir nicht kontrollieren können und das führt innerhalb von Gesellschaften zu Machtverschiebungen, die wir dann ebenfalls nicht kontrollieren können.”

Wir wüssten auch nicht, so Simic weiter, ob in den Maschinen, die wir konstruieren, nicht doch eine Form von Emotionalität angelegt ist, die sich möglicherweise völlig überraschend entfaltet (deshalb sein Film über die “Melancholische Drohne”). Immerhin würden Maschinen von Menschen gebaut und an eine abstrakte Logik, die frei von Emotionalität sei, könne er nicht glauben.

Brenda Lien befürchtet ebenfalls, dass die emotionale Maschine der nächste Schritt von Big Data ist, denn wenn man vergleiche, wie der Mensch lerne (emotional) und wie eine Maschine lerne (durch unendlich viele Daten) so liege der Vorteil des Menschen im Moment noch klar auf der Hand: Es ist seine intuitive Auffassungsgabe. Doch es gibt natürlich keinen Zweifel, dass auch dies bald entschlüsselt würde.

So nähern sich Mensch und Maschine langsam an: Der Mensch wird durch seine Geräte immer technischer, sein Verhalten immer mehr wie das von Maschinen. Auf der anderen Seite werden Geräte immer emotionaler und damit Menschlicher.

Wird es dann irgendwann einen Punkt geben, wo Menschen und Maschinen die Rollen tauschen, weil Maschinen die besseren Menschen und Menschen die besseren Maschinen sind?

Man könnte Simic so verstehen, wenn er daran erinnert, dass Roboter im Russischen “Arbeiter” heißt und die Definition von Mensch und Maschine möglicherweise dann daran hängt, wer für wen arbeitet.

Zum Glück holt Solana Larsen uns in die Realität zurück und erinnert daran, dass diese Entwicklung jung ist, dass es absurd sei anzunehmen, dass wir keinen Einfluss auf die Zukunft hätten. Dinge passierten nicht einfach, so Larsen – vor allem nicht von selbst.

Es sei auch falsch anzunehmen, dass nur die Leader der großen Tech-Unternehmen wüssten, wie unsere Zukunft aussehen wird (Obama dachte das, so Simic, weshalb er regelmäßig mit den Chefs von Google dinierte).

Wir könnten durch unser eigenes Verhalten und durch Mitbestimmung viele Entwicklungen steuern und wenn wir nicht verstünden, wie etwas funktioniert, müssten wir die Sachen einfach besser erforschen, so wie die Wissenschaft es immer schon gemacht hat.

So blieb am Ende offen, ob Big Data, wie Ingo Dachwitz meint, uns in die Lage versetzt, eine höhere Form von Intelligenz zu erreichen. Vielleicht ist Big Data einfach nur Big Data (was ja auch schon etwas wäre) und vielleicht ist die spannende Frage, was wir denn mit den ganzen Daten machen wollen und vor allem: sollten.

In jedem Fall bringt Big Data Menschen zusammen, die sich sonst vermutlich nicht getroffen hätten und in jedem Fall lässt sich trefflich und sehr unterhaltsam darüber streiten.


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